Tüllspitze auf der Stickmaschine

Stickmeister Klaus

Die maschinengestickte Tüllspitze gehört zu den herausragenden Erzeugnissen der Plauener Stickerei- und Spitzenindustrie. Damit wurde technologisch ein neuer, sehr erfolgreicher Weg beschritten . Erstmalig gelang es 1880, „offenen“ Tüll mit einer Handstickmaschine zu besticken. Tüllspitze konnten bis dahin nur mit großem manuellen Aufwand hergestellt werden.
Kaum bekannt ist, dass Plauen damals mit seinen klassischen Wäschestickereien längst den Anschluss an die Haute Couture verloren hatte. In Paris, London, New York waren die Plauener Erzeugnisse weitgehend ausgelistet. Das vogtländische Stickereigewerbe schien in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Es bedurfte neuer Ideen.

Der entscheidende Impuls kam von Theodor Bickel (1837-1903), dem Schwiegersohn von Franz August Mammen (1813-88) und Mitinhaber der Firma Franz August Mammen & Co. Bickel war ein ausgewiesener Kenner der verschiedenen Spitzengenres – und er war ein guter Beobachter: Die Stickerei Mammen stellte damals auf ihren 35 Handstickmaschinen u.a. mit Mull gedeckte Tüllstickereien her. Der Mull wurde mit aufgestickt und anschließend mittels Spachteltechnik teilweise wieder ausgeschnitten. Dies war dann eine Tüllstickerei, noch keine Tüllspitze.
Irgendwann einmal fehlte auf der Handstickmaschine am Ende eines Kupons ein Stück des deckenden Mulls. So sticke die Nadel in den offenen Tüll hinein – ein Fehler! Doch in dieser zufälligen Beobachtung erkannte Bickel die grundlegende Möglichkeiten zum Besticken von offenem (nicht abgedeckten) Tüll. Um ein verkaufsfähiges Produkt zu erzeugen, bedurfte noch vieler Versuche und eines sachkundigen Teams. Wer waren jene Pioniere an der Seite von Theodor Bickel, die die maschinengestickte Tüllspitze zum Leben erweckten?

Der Stickmeister Johann Paul Klaus (1840-1918) wurde in Kirchberg (Kanton St. Gallen/Schweiz) geboren. Nach seiner Heirat mit Katharina Josefa Antonia im Jahre 1868 in Lachen (Schweiz) siedelte Klaus nach Plauen über und arbeitete als erfahrener Stickmeister bei F.A. Mammen. Klaus war eine Schlüsselfigur. Neben der Entwicklung einer Technologie für die Tüllspitze, war er für das Anlernen der vielen Lohnsticker zuständig. Erst mit deren Weiterbildung konnten größere Mengen Tüllspitze für den internationalen Markt gestickt werden.

Eine weitere wichtige Person war Louis Opel. Er galt in der Fa. Mammen als besonders erfahrener Sticker. Gerade das Besticken des 4,5 m breitem, „offenem“ Tüll gestaltete sich anfänglich sehr schwierig. Die richtige Spannung für den zu bestickenden Tüll zu finden, war ein heikle Angelegenheit. Allzu oft riss der Tüll oder das Muster verzog sich. So kam man auf die Idee, 5 cm breite Stoffbänder auf beiden Seiten anzunähen. Damit konnte der Tüll gleichmäßig straff gespannt werden.
Da Tüllspitze ein neuartiges Maschinenerzeugnis war bedurfte es hierfür spezieller Muster. Die ersten Muster und Schablonen zu entwickeln, oblag dem Entwerfer Carl Gottlob Tröger. Als Vorbilder dienten ihm vorerst einfache klassische Nadelspitzen. Doch schon bald wurden die Entwürfe kühner und es entstanden immer effektvollere Muster. Tröger ging 1881 als Lehrer an die Kunstgewerbliche Fachzeichenschule und der Zeichner G.A. Kätzel führte die begonnenen Entwurfsarbeiten zur Tüllspitze fort.

Der Erfolg der maschinengestickten Tüllspitze war riesig. Bereits mit der Einführung 1880/81 konnte die Plauener Stickereiindustrie die internationalen Märkte zurückgewinnen (Tüllspitze – eine Erfolgsgeschichte). Neben F.A. Mammen & Co. stellten bald auch die Firmen G.A. Jahn, Walter Poppitz und Wilhelm Berkling die begehrten Tüllspitzen her. Mit der Tüllspitze begann der Spitzenboom im Vogtland, der bis 1912 anhalten sollte.

Literatur:
Albert Hempel, 50 Jahre stickmaschinengestickte Tüllspitze, in Vogtländischer Anzeiger und Tageblatt Nr. 39 vom 15. Feb. 1931
Dr. Erik Klaus, persönliche Mitteilung, 2005
Otto Töger, Vom Werde- und Entwicklungsgang der Plauener Industrie, Vortrag vom 25. Nov. 1912

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