Anfänge des Stickereigewerbes

Spinnendes Bauernpaar

Das Verbreitungsgebiet der Spitzen- und Stickereiindustrie ist traditionell der westsächsische Raum mit dem Vogtland und Teilen des Erzgebirges. In der Frühen Neuzeit war für die meist armen Bewohner von Gebirgsregionen die Suche nach zusätzlicher Beschäftigung notwendig. Mit den Erträgen aus Landwirtschaft und Kleingewerbe konnte der Lebensunterhalt kaum bestritten werden. Meist bot sich als Alternative für die Landbevölkerung oft nur die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Rohstoffen zu Textilien an.

Die Kenntnis vom Spinnen und Weben war auch im Vogtland weit verbreitet, verarbeitet wurden vor allem Schafwolle und Flachs. Hier kam jedoch eine Besonderheit hinzu, das war die sehr früh einsetzende Baumwollspinnerei und -weberei. Dies war auf die verkehrstechnisch günstige Lage des Vogtlandes zu den Messestädten Nürnberg und Leipzig zurückzuführen. Die Verarbeitung von Baumwolle war ein wesentlicher Ausgangspunkt für das spätere Stickereigewerbe (1).
Bereits 1598 wird in der „Cosmographia“, einer zeitgenössischen Beschreibung der damals bekannten Welt, darauf verwiesen, dass in der Stadt Plauen Schleier und Tüchlein aus Baumwolle in großer Menge hergestellt und gehandelt werden. Da die frühe Baumwollweberei, die sogenannte „Schleierwürkerei“, außerhalb zünftiger Beschränkungen entstehen konnte, entwickelte sich im 16. Jahrhundert ein Verlagssystem mit den sogenannten Schleierhändlern als Verleger. In ihrem Auftrag wurde Rohbaumwolle gesponnen und gewebt. Haupterzeugnis waren feinfädige, glatte Baumwollstoffe (Musselin), die auf den Messen in Nürnberg und Leipzig ein gefragter Artikel waren.

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts begann man im Vogtland und im westlichen Erzgebirge, die glatten Baumwollstoffe mit Mustern zu verzieren. Dies erfolgte durch Bedrucken (Kattundruck), durch spezielle Webtechniken (Broschieren) oder durch Besticken. In diese Zeit fällt der Beginn der Kunststickerei in der Region. Ihre Einführung wird Clara Angermann, vereh. Nollein, (1754-1809) zugeschrieben. Sie unterwies ab 1775 in Eibenstock zahlreiche Frauen in der Kettenstich-Stickerei mit der Häkelnadel (Tambourieren), eine Technik, die sie als Halbwüchsige in einem Kloster bei Toruń (Polen) gelernt hatte. Eine Weiterverbreitung dieser Stickerei erfolgte später durch Christiane Ficker, geb. Nier (1769-1832), die zur Verbesserung der verwendeten Häkelnadel und damit zur Vereinfachung der Kettenstichtechnik beitrug (2). Ursprünglich galt nur das Tambourieren als „Stickerei“. Handarbeiten mit der Nähnadel bezeichnete man als „Ausnäherei“. Gemeinsam ist jedoch beiden Verfahren, dass ein vorhandenes Grundgewebe bestickt wird. Das unterscheidet die Stickerei grundlegend von der Klöppelei, die ohne Grundgewebe auskommt.

Die prosperierende Baumwollweberei des Vogtlandes erfuhr ab 1790 starke Konkurrenz durch englische Baumwollwaren, die bereits maschinell gesponnen, bald auch maschinell gewebt wurden. Dies traf zuerst die Handspinnerei, führte jedoch in der Folge zu einem Preisverfall aller vogtländischen Baumwollwaren. Sinkende Preise zwangen nun dazu, die glatten Baumwollartikel mit gedruckten oder gestickten Mustern zu veredeln. Auf Anregung der Verleger griffen nun viele der arbeitslos gewordenen Handspinnerinnen zum Stickrahmen. Für die von Clara Angermann eingeführte Kettenstichstickerei (Tambourieren) sowie andere regionale Sticktechniken entstand damit eine größere Nachfrage. Bereits 1795 sollen für derartige Stickarbeiten an die 20.000 Reichstaler von Plauener Baumwollwarenhändlern in die Region Eibenstock bezahlt worden sein (3).
Gleichzeitig entstand für bestickte Erzeugnisse nun auch eine bürgerliche Käuferschicht, die in der Lage war, für verzierte Schals, Hauben und Schleifen Geld auszugeben. So entwickelte sich bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Stickerei in Westsachsen zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig.

Literatur:
(1) Vgl. F. Luft, Wie die Baumwolle ins Vogtland kam, in: Vogtländische Heimatblätter, Heft 4 (2015), S. 21.
(2) Vgl. Damen-Conversations-Lexikon, Vierter Band, Leipzig 1834, S. 120; . F. G. Wieck, Industrielle Zustände Sachsens, Chemnitz 1840, S. 337 .
(3) L. Bein, Die Industrie des sächsischen Voigtlandes: wirthschaftsgeschichtliche Studie, Leipzig 1884, S. 200.

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